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| Abendmusiken in der Predigerkirche 10. März 2013 |
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Matthias Weckmann Um 1616 geboren in Niederdorla (nahe Mühlhausen) als Sohn des Pfarrers, Organisten und Dichters Jacobus Weckmann. Ab 1627/28 Dresden: Unterricht durch u. a. Kaspar Kittel (Gesang), Johann Klemm (Orgel) und Kapellmeister Heinrich Schütz; Ab 1633 Hamburg: Studium bei dem Sweelinck-Schüler Jacob Praetorius sowie bei Heinrich Scheidemann. 1636/37 Rückkehr nach Dresden. 1642–46 Nykøbing: Organist in der königlichen Kapelle in Nykøbing (nahe Kopenhagen). 1649 zurück in Dresden; Freundschaft mit dem Schütz-Schüler Christoph Bernhard (1628–92) sowie mit dem Wiener Hoforganisten Johann Jakob Froberger (1616–67). 1655 Hamburg: nach einem spektakulären Probespiel Ernennung zum Organisten der Kirche St. Jacobi und der Gertrudenkapelle. 1660 Gründung des Collegium Musicum: „... errichteten zween vornehme Liebhaber der Musik mit ihm (Weckmann) ein grosses Collegium Musicum ... Es wurden die besten Sachen aus Venedig, Rom, Wien, München, Dresden etc. verschrieben, ja es erhielt dieses Collegium solchen Ruhm, dass die grössesten Componisten ihre Nahmen demselben einzuverleiben suchten.“ (Mattheson 1740) Im schweren Pestjahr 1663 sterben H. Scheidemann und der Kantor Thomas Selle; auf Weckmanns Empfehlung wird Christoph Bernhard als neuer Kantor eingesetzt. 1674 Tod Weckmanns; Bernhard führt zum Begräbnis des Freundes die von Weckmann selbst komponierte Motette In te domine |
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„Ein Künstler, der Gott
und
Menschen
dienen konnte“
Mit diesen Worten brachte Johann Kortkamp in seiner sogenannten „Organistenchronik“ – einer von Lieselotte Krüger 1922 veröffentlichten Sammlung von Aufzeichnungen zur Geschichte der Hamburger Kirchen St. Jakobi und St. Gertruden – die Persönlichkeit und künstlerische Ausstrahlung eines Musikers auf den Punkt, der das Musikleben Hamburgs auf eine für lange Zeit unerreichte Höhe führte und der mit seinen Tastenwerken, Sonaten und geistlichen Concerten das musikalische Erbe des 17. Jahrhunderts in zutiefst individueller Weise bereicherte: Matthias Weckmann. Kortkamp, der aufgrund der Freundschaft Weckmanns zu seinem Vater auch von ersterem mehr als Sohn denn als Schüler behandelt wurde, zeichnet in seiner Chronik das Bild eines gelehrten und ungewöhnlich virtuosen wie stilkundigen Musikers, der sich sowohl durch besondere Andacht als auch durch spontanen Spielwitz auszeichnete, dem aber auch eine liebenswerte Treue gegenüber seinen „Herzensfreunden“ eigen war. Aus dem thüringischen Niederdorla bei Mühlhausen stammend, dürfte Weckmann durch seinen Vater, einen Pfarrer, Organisten und kaiserlich gekrönten Dichter, prägende Eindrücke empfangen haben. 1) Entscheidend wurde die Begegnung mit Heinrich Schütz, der den jungen Weckmann zunächst als Diskantist in die Dresdener Hofkapelle aufnahm und ihn nach dem Stimmbruch auf eine organistische Laufbahn hin lenkte. Ein kurfürstliches Stipendium gestattete es Weckmann, bei Jacob Praetorius in Hamburg zu studieren, was zugleich die Unterweisung nach den „Composition Regeln“ des Amsterdamer „Organistenmachers“ Jan Pieterszoon Sweelinck einschloß. Schütz‘ Verbindungen nach Dänemark empfahlen Weckmann 1642 für den Posten des Organisten an der prinzlichen Kapelle in Nyköbing. Seine Virtuosität als Tastenspieler ließ ihn bei einem improvisierten Wettstreit mit Johann Jacob Froberger (wohl 1649/50 in Dresden) achtbar bestehen; Froberger, dessen „Sieg“ sich eher seiner Stellung als informeller Botschafter des Wiener Kaiserhofes verdankte, scheint die Größe besessen zu haben, Weckmanns Leistung anzuerkennen und ihm seine Freundschaft sowie Zugang zu seinen sorgfältig gehüteten Kompositions-manuskripten zu gewähren. 1655 bewarb sich Weckmann, bei dessen Hochzeit Franz Tunder als Trauzeuge gedient hatte, mit Erfolg um den Organistenposten an St. Jakobi in Hamburg. Seine von den Hamburger Insidern Kortkamp und Mattheson dargestellte Organistenprobe gehört zu den einprägsamsten Musikbeschreibungen des Jahrhunderts – vom Präludieren in verschiedenen Tonarten über die Choralfantasie und extemporierte Komposition einer Motette aus dem Generalbaß bis hin zum Continuospiel selbst unter erschwerten Bedingungen (absichtliche Fehler des Violinisten Johann Schop). Wegweisend wurde 1660 die Gründung des Collegium musicum, das allwöchentlich im Refectorium des Hamburger Doms spielte und dessen Musikpflege für die Konzeption dieser Abendmusiken vorbildhaft wurde. 1664 gelang es unter Mithilfe Weckmanns, dessen Dresdener Freund und Kollegen Christoph Bernhard als Kantor der vier Hauptkirchen nach Hamburg zu ziehen. Mit Beginn der 1670er Jahre scheinen Weckmanns Gedächtnis und Kräfte nachgelassen haben, nach der rührenden Formulierung Kortkamps „nicht wegen Alters, sondern von den Studiren und tieffen Nachsinnen, so er in der Music von Jugend auff getrieben und seine Lebens-Geister geschwächt“. Bei Weckmanns Begräbnis 1674 war es dann Christoph Bernhard vorbehalten, dessen bereits 1663 komponierte Trauermusik aufzuführen. Daß die bereits zuvor im Collegium musicum mehrfach dargebotene Komposition „In te Domine speravi“ womöglich bei dieser Gelegenheit verlorenging, gehört zu den bedauerlichen Zufällen der Musikgeschichte. Die Solomotette „Salve mi Jesu“ – eine Betrachtung der trostreichen Liebestat am Kreuz – erinnert an diese Beziehung Weckmanns zu dem ausgewiesenen Sänger und Musiktheoretiker Bernhard und macht zugleich die Einflüsse deutlich, die von Bernhards Lehrer Giacomo Carissimi sowie vom Werk der jungen Italiener am Dresdener Hof – Namen wie Albrici, Peranda und Pallavicino – auf die Kirchenmusik des Nordens ausgingen.
Weckmanns Werkstil und die Concerte des Lüneburger Sammelbandes Der Werkstil der Geistlichen Concerte Matthias Weckmanns lässt sich als eigenständige Mischung aus moderner italienischer Vokalität, protestantischer Ernsthaftigkeit und organistisch geprägter Satzkunst und Formbildung beschreiben, die in der Textaneignung von Schütz beeinflußt scheint. Anders als der eingängige Stil Buxtehudes oder die auf Ausgleich und Eleganz setzende Schreibart Bernhards vertreten Weckmanns reife Stücke eine kompromißlos herbe Klanglichkeit und einen resolut tiefgründigen Affektausdruck. Weckmanns stupende Beherrschung des vielstimmigen Kontrapunktes läßt ungewöhnlich dichte Gebilde entstehen; zudem verwendet er Zusammenklänge, die der englischen Consort music entnommen scheinen oder die man gar mit den harmonischen Experimenten der Neapolitaner Szene um 1600 in Zusammenhang bringen würde. Querstände, harte Sprünge und die dissonante Führung benachbarter Stimmen gehören bei ihm über den Figurcharakter hinaus zum satztechnischen Grundvokabular. Daß der Komponist sich der fremdartigen Wirkung seiner Musik bewusst war, verdeutlichen zahlreiche Warnakzidentien (Kreuzzeichen), mit denen er seine Autographen vor vermeintlichen Fehlerkorrekturen schützen wollte. 2) Zu den erhaltenen Hauptwerken Weckmanns gehört ein teilautographer Band mit vier geistlichen Konzerten, den die Ratsbücherei Lüneburg unter der Signatur KN 207/6 verwahrt. Das Psalmkonzert „Zion spricht, der Herr hat mich verlassen“ belegt, „wie kräftiglich“ Weckmann „Worte der Musik ein(zu)verleiben“ vermochte. Es beginnt mit einer perfekt proportionierten Sinfonia, aus deren schmerzgeladener Akkordstruktur sich flehende Gesten herausschälen. Der dreistimmige Vokalsatz beginnt als diminuierte Motette mit rhetorischem Doppelpunkt („Zion spricht:“) bevor der leicht chromatisierte Aufstieg in eine sinnfällige Pause mündet („der Herr hat mich verlassen“). Gesten ungläubigen Erstaunens gehen anschließend in eine zornige Sequenz über. Im Zentrum steht ein Adagio, dessen extreme Textaussage über das Ende selbst der Mutterliebe als des festesten irdischen Bandes Weckmann als packendes Lamento umsetzt – hier wird unverkennbar ein Glaube unter Tränen und Totenglocken, ja noch aus dem Grab heraus ausgedrückt. Der trotz zeittypischer Mittel ungewöhnlich direkte Ton gerade dieser Passage läßt an einen persönlichen Widmungshintergrund der Komposition denken. Nach verhaltenem Zweifel der Singstimmen („und ob sie gleich desselbigen vergäße“) erfolgt die machtvolle Beglaubigung im Taufbund: „Denn siehe, in deine Hände hab ich dich gezeichnet“. Für diesen wahrhaften „Kernspruch“ hat Weckmann den zuvor ausgesparten Tuttieffekt aller Stimmen und Instrumente reserviert, dessen trostreiche Wiederholung ein gelöstes Konzertieren freisetzt. Zu den Schlußworten „Spricht der Herr, dein Erlöser“ spreizt Weckmann den Satz nach oben wie unten auf, was etwa bei Monteverdi vorgebildet ist („Hor che l’ ciel e la terra“), von dem Weckmann nachweislich etliche Werke kannte und kopierte. Den Dialog „Wie liegt die Stadt so wüste“ nahm man im Hamburg des Jahres 1663 gewiß wörtlich. In einem Inventar des 17. Jahrhunderts wird das Stück aber auch dem 10. Sonntag nach Trinitatis zugewiesen („Israelssonntag“), für dessen Deutung und musikalische Semantik die Klagelieder Jeremiae traditionell prägend gewesen sind (siehe auch BWV 46). Allen Schmucks entkleidet, beginnt der Sopran mit einer tiefliegenden Rezitation, die als Abbild der Erstarrung gedeutet werden muß. Der begleitende Orgelpunkt geht entsprechend in einen absteigenden Quartgang über – Bewegung ist offenbar allein noch als schmerzerfüllte Demutsgeste denkbar. Ein echtes Klage-„Lied“ im Dreiertakt („Sie ist wie eine Witwe“) mündet in die Wiederholung des Beginns. Erniedrigung und Pein werden durch den überraschenden Einsatz der Instrumente noch verschärft, die in strikter Gegenbewegung einen peinvollen Consortsatz ausbilden, der sich als Begleitung für das Lamento des Propheten erweist. Die alla zoppa-Figuren des Soprans zeichnen das Wehklagen nach („Sie weinet des Nachts“), bevor der zweite Baßeinsatz mit seiner komponierten Zeigegeste eine beklemmend realistische Konstellation herbeiführt: Wie der ausgestreckte Finger des Täufers auf dem Isenheimer Altar weist der zerknirschte Prophet auf das vom Sopran verkörperte Elend und Weinen hin. Nach einer furiosen Evokation des göttlichen Zorns („Denn der Herr hat mich voll Jammers gemacht“) und einem Schuldbekenntnis des Soprans („Jerusalem hat sich versündiget“) mit markanter Eindunkelung des Wortes „unrein“ folgt eine neuerliche Klage des Basses, die Weckmann zum verinnerlichten Zentrum der Komposition erhoben hat. Ein in die lastende Region von c-Moll versetzter ostinater Quartabstieg begleitet die von Seufzern und stockenden Motiven geprägte Gesangslinie. Durch die Begleitung mit zwei Violinen bekommt der Abschnitt zugleich einen lichten und edlen Ton, der nach Strafpredigt und Selbstanklage zu Erbarmen und Mitgefühl einlädt. Das mehrfache Abreißen der Vokalpassage „keinen, keinen [Tröster]“ markiert die Erkenntnis einer existentiellen Verlassenheit und berührt als Waisenmusik von schlicht-ergreifendem Charakter. Der Schlußabschnitt vereinigt beide Singstimmen und sämtliche Streicher zu einer wehmütigen Klage, die mit effektvollen Klangrückungen arbeitet („Ach Herr!). Das drängende „siehe an mein Elend“ mündet zweimal in einen Fis-Dur-Akkord, in dem emblematisch alle acht (!) Stimmen einen Ton mit Kreuzvorzeichnung aushalten. Das triumphierende „Prangen“ des Feindes faßt Weckmann in einer kriegerischen Figur, die das wilde Konzertieren des Schlußabschnittes prägt. Ruppiger Kontrapunkt und eindringliche Deklamation durchdringen sich in einer Weise, die das Elend der verwüsteten Stadt nicht als einstmals durchgestanden, sondern noch immer gegenwärtig erscheinen läßt. Zum Concert „Weine nicht, es hat überwunden der Löwe vom Stamm Juda“ hat Mattheson eine reizende Geschichte überliefert. Weckmann, der versehentlich ein von Kantor Selle zur Darbietung auserkorenes Stück verfrüht im Gottesdienst gespielt hatte, wurde von diesem mit einem Aufführungsverbot eigener Kompositionen belegt. Er fand zwar Trost in der Vertonung einer zufällig aufgeschlagenen Bibelstelle aus der Offenbarung Johannis, konnte das Stück jedoch nicht mehr unter seinem Namen darbieten und lancierte es daher unter demjenigen Bernhards, dessen Berufung nach Hamburg die effektvolle Komposition beförderte. Beim feierlichen Einzug nach Hamburg darauf angesprochen, konnte der ahnungslose Bernhard den Verfasser des Stückes allerdings nicht nennen. Weckmann jedoch „trat ihm auf den Fuß; da sprach er: es könne wohl seyn, dass er es gemacht hätte; es wären viele Stücke von seiner Arbeit weggegeben, deren Partitur er nicht hätte und die ihm entfallen wären.“ Der dankbare Bernhard brachte später seinerseits „Weine nicht“ als Ostermusik in Weckmanns Jakobikirche und unter dessen Namen zur erneuten Aufführung. Die Geschichte ist nicht nur zu schön, um erfunden zu sein, sie wird auch durch den Umstand beglaubigt, dass bereits in den 1660er Jahren Kopien des Stückes unter Bernhards Namen kursierten. Anders als der theatralische Dialog setzt „Weine nicht“ stärker auf klangliche Opulenz und strukturellen Reichtum. Der satte Vollklang aus drei Violinen, 3 Violen und Continuo ermöglichte nicht nur doppelchörige Wirkungen, sondern regte Weckmann auch zur Komposition gleich dreier Sinfonien an. Sein Umgang mit der Textvorlage darf dabei als höchst individuell bezeichnet werden – bestreitet er doch mehr als die Hälfte des ausgedehnten Stückes allein mit der ersten Textzeile, wobei die abwechslungsreiche Umsetzung der Wendung „Weine nicht“ frappiert. Sie wird zunächst als trostferne Stimmung gezeichnet (Alt-Solo), geht in eine zu mannhaftem Handeln auffordernde Anrede des Basses über und wird schließlich in einer Bewegungsfigur eingefangen, die die vergossenen Tränen als kathartischen Prozeß miterlebbar macht. (Tutti). Diesem subtilen Auslegungskonzept werden auch die Sinfonien unterworfen, deren erste mit einem repräsentativen C-Klang beginnt, der in einen chromatischen Aufstieg übergeht, der zunehmend voller ausinstrumentiert wird – die Bühne für ein gewaltiges Geschehen wird bereitet. Die zweite Sinfonia fungiert als rhetorische dubitatio, die das Trostwort in einem wahrhaften Schmerzausbruch einer letzten Prüfung unterzieht, wobei die erstmalige Verwendung des chromatischen Aufstieg als Grundlage einer Imitation das Moment der mühseligen Nachfolge im Kreuz akzentuiert. Die attacca auf das energische Baßsolo mit seiner „triumphirenden Harmonie“ (Mattheson) folgende dritte Sinfonia greift dann mit Dreiklangsfanfaren einen österlichen Topos auf, bevor der von kriegerischen Streicherrepetitionen begleitete hymnische Textvortrag „es hat überwunden“ alles Schluchzen hinter sich lässt. Die expressive Zäsur „Das Lamm, das erwürget ist“ geht in ein lockeres Konzertieren mit klangvollen Ritornellen über, wobei die „Ewigkeit“ in einem betont langen Abschnitt Ausdruck findet. Als glanzvoller Abschluß folgt ein Amen, das als Ciaccona italienischer Art ausgearbeitet ist. Mit seinen virtuosen Koloraturen steht es in der Tradition der Schützschen Monteverdi-Parodie „Es steh Gott auf“ SWV 356 und muß doch so neuartig gewesen sein muß, dass noch Weckmanns Schüler Kortkamp sein Concert „Uns ist ein Kind geborn“ mit einem nahezu identischen Abschnitt beschloß
Die Sonaten und Orgelwerke Von Weckmann sind zehn Sonaten überliefert, deren exquisite Instrumentierung dem Personalstil des Meisters eine weitere Facette hinzufügt. Während die älteren Sonaten der deutschen Tradition einen kompakten fünfstimmigen Satz für Violinen/Zinken und Violen/Posaunen favorisierten und die modernere italienische Schreibart sich auf einen Triosatz aus zwei Violinen und Continuo zubewegte, der in Norddeutschland in einer Variante für Violine, Viola da gamba und Basso gepflegt wurde (etwa bei Buxtehude und Krieger), verlangen acht der Weckmannschen Sonaten ein mit Cornettino, Violine, Posaune und Dulzian farbig besetztes Solistenensemble. Diese kontrastreiche Klangbildung verleiht im Verein mit den virtuosen Anforderungen den Sonaten einen extravaganten Anstrich. Canzonenartige Anklänge verbinden sich mit einer formalen Vielgestaltigkeit und Expressivität im Sinne des Stylus Phantasticus. Zahlreiche Solopassagen sprechen für die Nähe zur improvisatorischen Praxis, wie sie von den im Collegium musicum spielenden Virtuosen nachweislich gepflegt wurde. Die Sonata III exponiert eine dreiklangsartige Eingangspassage, mit der sich jedes Instrument vorstellt. Es folgt eine Passage im Dreiertakt, die mit Chorbildungen und der simultanen Behandlung zweier konträrer Motive arbeitet. Wie oft bei Rosenmüller und anderen Meistern der Zeit steht in der Mitte ein auf pathetischen Klangwechseln beruhender Abschnitt, der rhythmisch profilierte Motivketten freisetzt und in einen fugierten Teil übergeht. Geschickt verknüpft Weckmann dessen auf einer figura corta beruhendes Thema mit der Wiederkehr der Eingangsdreiklänge, ehe die kapriziöse Sonate mit einer markanten Moll-Eindunkelung in der Kadenz zu Ende geht. Die Sonata II ex D beginnt betont lebendig mit weiten Linien in Gegenbewegung. Eine martialische Tripla-Passage mit Echoeffekten wird durch solistisches Passagenwerk aufgebrochen, bevor die Sonate in ein expressives Adagio übergeht, dessen resignativ absinkende Musik noch um die Klangdimension eines Trauerläutens bereichert wird. Die vokale Ausrichtung dieses Abschnittes erinnert deutlich an eine der ausdrucksstärksten Kompositionen von Schütz – die Schlußpassage „Und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen, auf daß aller Menschen Gedanken offenbar werden“ aus dessen Konzert „Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall“ SWV 410. Dieses 1650 gedruckte Werk könnte Weckmann sehr wohl unter Schütz studiert und gespielt haben. Die Orgelwerke nehmen Bezug auf Weckmanns Dienst an der prächtigen Orgel von St. Jakobi sowie seinen Ruhm als Virtuose und Improvisator. Daß Weckmann den Stil seiner Lehrer – die „prätorianische Ernsthafftigkeit“ und die „scheidemannische Lieblichkeit“ (Mattheson) – mit einer von Froberger und Tunder herkommenden fantastischen Freiheit und Delikatesse zu vereinen wusste, macht die besondere Faszination seiner Tastenmusik aus. Das auf Buxtehudes Pedaliter-Stücke vorausweisende fünfstimmige Praeambulum primi toni kostet neben enggeführten Kontrapunktkünsten die gesammelte Schwere des dorischen Tons aus, während die Vertonungen von „Ach wir armen Sünder“ Weckmanns Meisterschaft der polyphonen Choralausdeutung verdeutlichen (Choral zunächst im Tenor, dann koloriert im Sopran). Zugleich dienen die Choralverse als Ort der inneren Sammlung nach der aufrüttelnden Lamentation, womit zugleich jene gegenseitige Kommentierung von alttestamentarischer Textgrundlage und neutestamentarisch basierter Gottesdienstpraxis erlebbar wird, die die christologische Deutung der Bücher des Alten Testamentes in der Frühen Neuzeit ausmachte. Weckmanns Idee, dem Concert „Weine nicht“ mit seiner „traurigen Symphonie“ eine „lustige Bataille“ voranzustellen, hat bereits seinerzeit die „Leute auf dem Chor“, also die Musiker, und sicher auch die Gottesdienstbesucher in St. Jakobi „verwundert“. Doch nimmt dieses von Mattheson berichtete Arrangement glücklich auf die von Text und Komposition vollzogene Wandlung von Trauer in Auferstehungsfreude Bezug, die das verschattet beginnende Concert gegen Ende zu förmlich explodieren läßt. Weckmanns Lust an einer kontrastreichen Musiksprache wird durch das immense theologisch-rhetorische Einfühlungsvermögen dieses vielleicht eigenständigsten Schülers von Heinrich Schütz jederzeit gedeckt. Anselm Hartinger
1) Zu Weckmanns Biographie vgl. Kortkamp 1922, Mattheson 1740, Ilgner 1939 sowie MGG 2 (P. Dirksen). |
![]() Matthias Weckmann: Johann Kortkamp (1643–1721) studiert bei M. Weckmann ca. 1655–61;
- Seiffert, Max: Matthias Weckmann und das Collegium musicum in Hamburg, in: SIMG 2 (1900–01), S. 76–132 - Krüger, Liselotte: Die Hamburgische Musikorganisation im 17. Jahrhundert. Leipzig, 1933 - Ilgner, Gerhard: Matthias Weckmann: sein Leben und seine Werke, München, 1939 - Matthias Weckmann, Four sacred concertos, ed. Alexander Silbiger. Madison, Wisconsin, 1984 - Proceedings of the Weckmann Symposium, Göteborg 1991, ed. Sverker Jullander, Göteborg, 1993
Dokumentation:
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