Abendmusiken in der Predigerkirche 2013 |
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Ein Zittauer Orpheus der Gebrauchsmusik – Andreas Hammerschmidts Dialoge, Concerte, Motetten und Paduanen
Geboren 1611 oder 1612 im nordböhmischen Brüx – heute unter dem Namen Most eine von Krieg, Industrialisierung und sozialistischen Planfuror völlig verwüstete Stadtlandschaft –, gelangte Hammerschmidt bereits früh in angesehene musikalische Positionen. 1) Neben einer nicht näher bekannten, offenbar jedoch profunden Ausbildung scheint Hammerschmidt über ein erhebliches Selbstbewußtsein und eine durchsetzungsfähige Natur verfügt zu haben, die ihn Karrierechancen stets entschlossen ergreifen ließ. Von 1633 bis 1634 diente er zunächst als Organist des sächsischen Grafen Bünau auf dessen idyllischem Schloss Weesenstein bei Pirna, bevor er 1634/35 nach langem Rechtsstreit mit einem unterlegenen Bewerber den Organistenposten an St. Petri in der reichen Bergstadt Freiberg erhielt. Im April 1639 wechselte er kurzfristig auf die frei gewordene Stelle des Organisten an der Johanniskirche in Zittau. Damit gelangte Hammerschmidt in eine vom Dreißigjährigen Krieg weniger betroffene Stadt und Region, die sich überdies durch eine sehr lebendige Schultradition 2) und Ratsmusik auszeichnete. Dies bot dem Organisten trotz seines offenbar hitzigen Temperamentes 3) die Gelegenheit zur erfolgreichen Einwurzelung in das örtliche Patriziat, die sich in einem gewissen materiellen Wohlstand samt Hauskauf und Zittauer Bürgerrecht widerspiegelte. Auf seinem 1675 errichteten Grabstein fanden sich Verse, die man sonst eher in Bezug auf Hammerschmidts Vorbild Heinrich Schütz erwarten würde: „Der Deutschen Ehre, Ruhm und Ziehr Dies mag aus lokalpatriotischem Stolz etwas hoch gegriffen erscheinen, doch wurden Hammerschmidts Arbeiten noch vielerorts bis weit ins 18. Jahrhundert hinein aufgeführt. 4) Daß er sich bis ins Alter hinein kompositorisch weiterentwickelte, wird durch seine letzte veröffentlichte Sammlung, die sechsstimmigen „Fest- und Zeitandachten für das Chor“ von 1671 eindrucksvoll belegt. Diesem Opus, aus dem im Rahmen der Abendmusiken bereits die Motette „Das Wort ward Fleisch“ erklang, entstammt mit „Machet die Tore weit“ auch jenes Werk Hammerschmidts, das es in die großen Chorbücher des frühen 20. Jahrhunderts schaffte und das daher bis heute zu den bekannteren Adventsmotetten „alter Meister“ zählt. II. In diesem Sinne steht das mit zwei hohen Stimmen und Generalbaß besetzte Concert „Eile mich Gott, zu erretten“ gewissermaßen an einem Ende der stilistischen Bandbreite. Naturgemäß häufig mit jenem gleichnamigen Werk verglichen, mit dem Heinrich Schütz seine „Kleinen geistlichen Concerte“ von 1636 eröffnete, vermag es auch ohne dessen programmatischen Zusatz „in stylo oratorio“ durchaus zu überzeugen. An die Stelle von Schütz’ eindringlicher Deklamation auf teils festgehaltenen Rezitationstönen tritt bei Hammerschmidt die kontrapunktisch dichte Überlagerung zweier Solisten, die nach Art der „Opella nova I“ (1618) Johann Hermann Scheins vom kraftvollen Mit- und Gegeneinander der beiden Singstimmen lebt. Schütz mag im Detail hier und da zwingendere Figuren zur Abbildung der Affekte und Aussagen gefunden haben, doch wird man auch Hammerschmidts Deutungen stellenweise einige Plastizität zuerkennen können („Ich aber bin elend und arm“, „denn du bist mein Helfer und Erretter“). Während Schütz seine Vertonung des Augustinischen Andachtstextes „O süsser, o freundlicher, o gütiger Herr Jesu Christe“ ebenfalls als solistisches Concert für Tenor angelegt hatte (SWV 285), weist Hammerschmidts Version für vier Stimmen und Generalbaß eher in den Bereich des geistlichen Madrigals. Auch für diese Form könnte Schein mit seinem „Israelsbrünnlein“ von 1623 als prägendes Vorbild gewirkt haben; zu einer entsprechenden „Madrigal Manier“ hat sich Hammerschmidt im Titel seiner Sammlung von 1652/53 direkt bekannt. Die teils homophon und gleichrhythmisch, teils imitativ gehaltene Satztechnik erzeugt mit ihren vielen kurzen Abschnitten ein abwechslungsreiches Bild, das sich jeder Textphrase optimal anschmiegt und eine sprechende Deklamation erlaubt. Von großer Wirkung sind in diesem Stil die doppelt textierten Passagen („mein Heiland – wie erfreuet sich mein Herz“; „mein Erlöser – wie herrlich sind deine Wohltaten“). Diese Technik des intensiven textlich-musikalischen Interagierens ist vielleicht auch ein Schlüssel, um Hammerschmidts Dialoge zu verstehen. Obwohl es in seinem Schaffen auch Kompositionen mit wörtlicher Wechselrede gibt, wäre ihre durchgängige Interpretation als dramatisch-szenische Entwürfe mit realistischer Personenführung nach Art des stile rappresentativo irreführend. Vielmehr sind gerade die fünf Dialoge dieses Programms eher als inneres Herzensgespräch oder gar als Zwiesprache zwischen Gott/Erlöser und Seele/Mensch aufzufassen. Wenn in diesem Sinne durchlaufende Psalmtexte auf mehrere Stimmen verteilt werden, erlaubt dies eine Akzentuierung der enthaltenen affektmäßigen Gegensätze und gewissermaßen eine Rückversetzung der zur dogmatischen Textschicht geronnenen Erfahrungswelt der biblischen Kernsprüche in eine lebensnahe Auseinandersetzung zwischen Furcht und Hoffnung oder Flehen und Zusage. So ist in „Ach Gott, warum hast Du mein vergessen“ der Vortrag der eigentlichen Klage dem Tenor übertragen, während die drei übrigen Stimmen mit Worten des 42. Psalms dem verfolgten Protagonisten tröstend zur Seite treten, bevor sich im abschließenden Lobpreis „Wir haben einen Gott, der da hilft“ sämtliche Stimmen sinnfällig vereinigen. Diese Aufspaltung der Textbestandteile auf unterschiedliche Ensemblegruppen und Stimmlagen gibt dem Komponisten Gelegenheit zur Ausbildung wiederkehrender Motive, die etwa im Dialog „Herr, wer wird wohnen in deiner Hütten“ als Ritornell genutzt werden und damit fast litaneiartige Züge annehmen („wer das tut, der wird wohl bleiben“). Freie Einschübe finden sich wiederum in den Dialogen „Nehmet hin und esset“ sowie „O Jesu, du allersüssester Heiland“. Handelt es sich bei ersterem um eine eigentlich recht kühne Concert-Vertonung der Abendmahlseinsetzung, die durch den Psalmvers „Lobe den Herrn, meine Seele“ als gemeindlicher Dank für die in Brot und Wein erwiesene Wohltat beantwortet wird, so wird in „O Jesu“ dem Andachtstext eine sich beständig steigernde Evokation des Namens Jesu gegenübergestellt. Hammerschmidts Dialoge erweisen sich somit als klingende Exempel einer verfeinerten Gebets- und Predigttechnik, die seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts die tradierte Evangelienverkündigung mehr und mehr um eine verinnerlichte Gewissenserforschung und regelrechte Jesusminne mit latent überkonfessionellen Zügen ergänzte. Die eher leichte und durchsichtige Faktur der Kompositionen lässt diese im eigentlichen Sinne spirituelle Dimension besonders gut hörbar werden – die von kritischen Musikfachleuten wie Martin Heinrich Fuhrmann („Musicalischer Trichter“, 1706) als „Hammerschmiedischer Fuß“ verunglimpfte Schlichtheit der Dimensionen und Ansprüche wird insofern durch die Intention der Stücke gerechtfertigt und sollte weniger als kompositorisches Defizit und auch nicht als grundsätzlicher Mangel an motivischer Inventionskraft aufgefasst werden. Eine gewisse Austauschbarkeit der Figuren und Satzanlagen mag nicht nur dem immensen kommerziellen Erfolg der Hammerschmidtschen Drucke geschuldet sein. Sie trifft auch auf den übergrossen Teil der kompositorischen Produktion des Barock zu und widerlegt somit den anekdotisch Johann Rosenmüller zugeschriebenen Vorwurf, Hammerschmidt sei ein „Clausuln-Dieb“ gewesen, der mithin die Entwürfe anderer Meister nicht nur benutzt, sondern auch benötigt habe. 5) Daß Hammerschmidt auch die vielstimmig-großformatige Setzkunst mehr als nur solide beherrschte, zeigen die beiden Motetten „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ und „Habe deine Lust an dem Herren“ aus den Musikalischen Andachten II von 1641. Beide verbinden die kanonische und fugenmäßige Kontrapunktik der Tradition so glücklich mit wechselchörigen Passagen und der geschmeidigen Dichte des Madrigals, dass sie den Motetten aus Heinrich Schütz „Geistlicher Chor-Musik“ von 1648 durchaus an die Seite gestellt werden können, mit denen sie zudem den im Kern verzichtbaren ad libitum-Charakter der Generalbaßstimme teilen. Die in „Habe deine Lust“ vorgenommene Einzeichnung von kleinbesetzten „Favorit“-Abschnitten in eine als „Capella“ bezeichnete Tutti-Besetzung verweist auf die gewünschte klangliche Gravität und Differenziertheit dieser Stücke sowie auf die reichhaltigen Möglichkeiten, mit denen Hammerschmidt dank seiner erfolgreichen Laufbahn als städtischer Organist und Musikdirektor rechnete. III. Anselm Hartinger
2) Vgl. dazu anhand der Zusammenarbeit Hammerschmidts mit dem Zittauer Rektor Christian Keimann Irmgard Scheitler, Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit, Bd. 1, Tutzing 2013, v.a. S. 389–398. 3) Aus Hammerschmidts Zittauer Jahren sind mehrere tätliche Auseinandersetzungen – etwa mit einem Weinschenk sowie mit seinem ungeliebten Schwiegersohn – bekannt geworden. 4) Der Autor dankt Michael Maul (Leipzig) für entsprechende Hinweise auf die lokale Praxis Mitteldeutschlands. 5) Parodien nach fremden Vorbildern hat auch der gewiß ungleich eloquentere Komponist Johann Rosenmüller mehrfach vorgelegt. Vgl. dazu: Peter Wollny, Schöne italienische Musicalische Kunststücke uf Teutzschem Boden – Über das Komponieren nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 32 (2007), S. 31–66. |
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