Abendmusiken in der Predigerkirche
2013
   
   
  Lebensdaten

Johann Rosenmüller –
Sonaten und Concerti

von Peter Wollny

Johann Rosenmüllers Bedeutung als einer der wichtigsten und einflussreichsten Meister der Epoche zwischen Schütz und Bach ist von der Musikwissenschaft erstaunlich früh erkannt und eindrücklich formuliert worden: Bereits 1845 schrieb Carl von Winterfeld in seiner umfassenden Monographie Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonsatzes, Rosenmüller habe „die damahls allgemein beliebt gewordenen italienischen Formen, mit denen sein langes Verweilen in Venedig ihn vollkommen vertraut gemacht hatte, in ächt deutschem Sinne lebendig ausgestaltet, ihnen dadurch erst wahres Bürgerrecht erworben; was die späteren großen Meister des 18ten Jahrhunderts geleistet, haben sie zumeist ihm zu verdanken.“ Gleichwohl ist diese Erkenntnis erst in den letzten Jahren wieder allgemein ins Bewusstsein gerückt, haben seine klangschönen und eleganten Werke wieder viele Freunde gewonnen, sind in Konzerten erklungen und auf CDs eingespielt worden.

Dennoch zählt der Komponist nach wie vor zu den rätselhaftesten Figuren der barocken Musikgeschichte – ein Meister ersten Ranges ohne Biographie. So groß die Wirkung seines Schaffens – speziell im deutschen Sprachraum – gewesen ist, so unauffindbar verwischt sind die Spuren seines Daseins. Es scheint, als sei die Kargheit der biographischen Dokumente nicht allein dem verheerenden Wirken der Zeitläufte zuzuschreiben. Möglicherweise achtete Rosenmüller selbst darauf, dass nicht allzu viel über seine privaten Lebensumstände bekannt wurde. Nur eine Handvoll gesicherter Daten sind greifbar: Der aus dem vogtländischen Oelsnitz stammende Rosenmüller schrieb sich 1640 – als etwa Zwanzigjähriger – in die Matrikel der Universität Leipzig ein, bekleidete zunächst verschiedene kleinere Ämter und stieg innerhalb weniger Jahre zum bedeutendsten Musiker der Stadt auf. Als erster scheint der Dresdner Kapellmeister Heinrich Schütz die außerordentliche Begabung des jungen Musikers erkannt zu haben. Schütz besuchte Leipzig im Mai 1645 und verfasste daraufhin ein warmherziges Lobgedicht auf Rosenmüllers erstes Opus, die im Herbst des Jahres veröffentlichten „Paduanen ... mit drey Stimmen“. Spätestens ab dieser Zeit trat Rosenmüller auch als Leiter eines sich aus musikbegeisterten Kommilitonen rekrutierenden Collegium musicum in Erscheinung, mit dem er offensichtlich so viel Aufsehen erregte, dass ihm schon bald die Vertretung des kränklichen Thomaskantors Tobias Michael angetragen und zudem offiziell die Exspektanz auf das begehrte Amt erteilt wurde. Rosenmüller verstand es, sich durch denkwürdige Aufführungen und ehrgeizige Veröffentlichungen das Wohlwollen seiner einflussreichen Gönner zu sichern. Auch außerhalb Leipzigs wurde man auf sein Talent aufmerksam; ein vom Rat der Stadt Dresden eingeholtes Gutachten betont nachdrücklich, dass man „eine qualificirtere Persohn in Dirigirung des Musicalischen Chors, Componiren und andern, was zu eines Cantoris Ambt gehörig schwerlich in Leipzigk, Dresden und andernorts finden würde“. Die daraufhin ergangene Einladung, sich um das Dresdner Kreuzkantorat zu bewerben, lehnte Rosenmüller allerdings ab, um seine Leipziger Privilegien nicht zu gefährden; wohl aber akzeptierte er den ihm vom Altenburger Hof angetragenen Titel eines Kapellmeisters von Haus aus. Diese erfolgreiche Karriere kam im Frühjahr 1655 jedoch zu einem jähen Ende, als Rosenmüller wegen des Vorwurfs der Päderastie aus der Stadt fliehen musste.

Der Vorfall markiert eine tiefe biographische Zäsur, die auch in Rosenmüllers künstlerischem Schaffen deutlich zu beobachten ist. Rosenmüllers besonderes Verdienst in seiner Leipziger Zeit bestand – nach Aussage eines Zeitgenossen – darin, „daß er viel schöne Italienische Musicalische Kunststücke uf den Teuzschen Boden gebracht“ habe. Wer in den Leipziger Kirchen der Musik Rosenmüllers lauschte, berichtet der Dichter Caspar Ziegler, mochte sich leicht einbilden, er befände sich mitten in Venedig. Auslöser dieser stilistischen Neuerungen war offenbar eine ausgedehnte Reise, die Rosenmüller im Winter 1645/46 nach Italien unternahm und in deren Folge erstmals seit fast zwanzig Jahren die Werke der führenden italienischen Meister in das vom Dreißigjährigen Krieg arg gebeutelte Mitteldeutschland gelangten. Die durch die widrigen Zeitläufte ins Hintertreffen geratene deutsche Musikpflege holte ihren Rückstand so mit einem Schlag auf, und sie fand ihren Lehrmeister in diesem ambitionierten jungen Komponisten, dessen klangvolle Kompositionen zeigten, wie italienische Suavitas und deutsche Gravitas wirkungsvoll miteinander verbunden werden konnten. Die etwas schwerfällige deutsche Kirchenmusik begann, sich mit Leichtigkeit und Anmut zu schmücken.

Der 1655 in Leipzig erhobene Vorwurf der Päderastie, der auch seinen musikalischen Lebensweg entscheidend prägte, und das nachfolgend eröffnete Verfahren des Dresdner Oberkonsistoriums gaben dem Flüchtigen offenbar genügend Veranlassung, fortan in jeder Hinsicht vorsichtig zu sein. Die folgenden Jahre sind nur gerüchteweise belegt: Zunächst soll er sich in Hamburg aufgehalten haben; dann heißt es, er habe den – erfolglosen – Versuch unternommen, bei der anlässlich der Thronbesteigung von Kurfürst Johann Georg II. (1657) angeordneten Amnestie berücksichtigt zu werden. Danach ist er für 25 Jahre in Venedig nachweisbar. Wir dürfen uns Rosenmüllers Lebensumstände in Venedig vermutlich nicht allzu positiv vorstellen. Dass er, wie immer wieder behauptet wird, in der Lagunenstadt ein Dasein als eine Art „opera queen“ führte und seine Neigungen öffentlich auslebte, ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu abwegig – zu sehr werden hier neuzeitliche Projektionen sichtbar, zu sehr ist der Wunsch erkennbar, sein Leben als im modernen Sinne erfüllt anzusehen. In Wirklichkeit dürfte es für einen Fremden ausgesprochen schwierig gewesen sein, in der streng reglementierten Musikerzunft der Stadt Fuß zu fassen. Überhaupt ist noch völlig ungeklärt, wie es ihm gelang, sich in Venedig zu behaupten. Als Fremder konnte der einstige gefeierte Leiter der Leipziger Universitätskirchenmusik hier bestenfalls musikalisch wenig bedeutende Nebenrollen spielen: etwa zeitweilig als Posaunist im Musikerensemble am Markusdom oder als Musiklehrer am Ospedale della Pietà. Ob die venezianischen Musiker von seinem vormaligen Ruhm wussten und ob sie ihn überhaupt als Komponisten wahrnahmen, bleibt ebenfalls ungewiss.

Sicher ist nur eines: Rosenmüller muss mächtige Fürsprecher gehabt haben, um als Fremder überhaupt in Venedig sesshaft werden zu können. Entsprechende Verbindungen mag er bereits während seiner ersten Italienreise im Winter 1645/46 geknüpft haben, und diese erwiesen sich auch nach mehr als einem Jahrzehnt offenbar noch als tragfähig genug, um eine zweite – wenn auch eher im Verborgenen blühende – Karriere aufzubauen. Denkbar wäre auch die Protektion von deutschen Händlern, die mit dem als Bruderschaft organisierten Fondaco dei Tedeschi am Canal Grande neben der Rialto-Brücke eine feste Niederlassung in Venedig besaßen. Da Rosenmüllers ehemaliger Wirkungsort Leipzig wesentlich vom Handel und von den Messen geprägt war und es sich bei den Widmungsträgern des ersten Teils seiner in Leipzig erschienenen Kernsprüche (1648) meist um wohlhabende Kaufherren handelte, wäre der Fondaco ein plausibler Anlaufpunkt für den gestrandeten Künstler gewesen.

Von einem solchen gesicherten Unterschlupf aus muss Rosenmüller in den nächsten Jahren dann ein neues soziales Netz geknüpft haben – innerhalb der Stadt, vermutlich aber stärker noch mit seiner einstigen Heimat. Die regelmäßigen Besuche deutscher Fürsten und Emissäre dürften ihm dazu mannigfaltige Gelegenheiten geboten haben. Vielleicht auch konnte er sich als Händler von in der Heimat nur schwer zu beschaffenden Musikalien etablieren und seinen Lebensunterhalt auf diese Weise bestreiten. Immerhin schickte der Weimarer Hof bereits 1660 einen Boten zu ihm nach Venedig, um neue Kompositionen anzukaufen. Der Bedarf an italienischer Musik war an den deutschen Höfen seinerzeit ebenso groß wie die Schwierigkeiten, an qualitätsvolle Werke heranzukommen. Möglicherweise fand Rosenmüller hier eine lukrative Marktlücke, die ihm zugleich erlaubte, auch selbst wieder schöpferisch tätig zu sein. Diese Hypothese könnte erklären, warum sich die Überlieferung der venezianischen Kompositionen Rosenmüllers ausschließlich auf den deutschen Sprachraum konzentriert, während andererseits kein einziges seiner Werke in einer italienischen Quelle erhalten ist.

Von großer Bedeutung war offenbar der Kontakt zum Hof von Hannover, speziell zu Herzog Johann Friedrich, unter dessen Herrschaft (1666–1679) das Herzogtum Hannover vorübergehend wieder katholisch wurde und damit einen großen Bedarf an neuen, für die katholische Liturgie tauglichen Musikalien entwickelte. Wie die Widmung seiner 1667 und 1670 in zwei Auflagen in Venedig erschienenen Sammlung von Sonate da camera belegt, unterhielt Rosenmüller recht enge persönliche Beziehungen zu Johann Friedrich, die vermutlich während einer der Venedig-Reisen des Herzogs begründet wurden. Der Anlass für die Widmung des Sonatendrucks konnte bislang nicht erhellt werden, doch wäre denkbar, dass entweder zwischen Rosenmüller und dem Hof zu Hannover ein förmliches Dienstverhältnis bestand, oder aber dass Rosenmüller sich eine Berufung nach Hannover erhoffte. Angesichts dieser Sachlage erscheint es auch durchaus plausibel, dass Rosenmüller den überwiegenden Teil seiner großbesetzten Vespermusiken eigens für Hannover komponierte. Die Möglichkeit, nach Deutschland zurückzukehren, tat sich jedoch erst 1682 auf: Herzog Anton Ulrich berief ihn als Kapellmeister nach Wolfenbüttel, wo er dessen Hofkapelle neu aufbauen sollte. Ein langes Wirken war dem alternden Komponisten hier jedoch nicht mehr beschieden – er starb bereits im September 1684 im Alter von etwa 67 Jahren.

Im Mittelpunkt des Interesses standen von jeher in erster Linie die Werke aus Rosenmüllers venezianischer Lebensphase, hinter denen die Kompositionen der Leipziger Zeit als angeblich qualitativ weniger wertvoll oder zumindest weniger aktuell zurückstanden. Dass dieses Urteil bereits im 17. Jahrhundert verbreitet war, lehrt zum Beispiel eine Passage aus Christian Weises satirischem Schauspiel Der politische Quacksalber (1684), in der einer der Protagonisten, „Adagio, ein musicalischer Virtuöser“ über Rosenmüllers Schaffen resümiert: „... wer seine itzige [das heißt: die in Venedig komponierte] Music gegen die vorige [also die aus der Leipziger Zeit stammende] verachten will, der giebt sich bald bloß, daß er bey einem Dorff-Capellmeister mag gelernet haben.“ Freilich lassen sich die beiden Schaffensbereiche nicht völlig auseinanderhalten. Denn einerseits vermochte Rosenmüller bereits in seinen späten Leipziger Jahren, den italienischen Ton perfekt nachzuahmen; andererseits boten auch die venezianischen Concerti noch so viel „teutsche Gravität“, dass sie zu begehrten Sammelobjekten mittel- und norddeutscher Hofkapellen wurden. Der Komponist verstand es offenbar, beide Stilsphären auf äußerst gekonnte Weise miteinander zu verbinden.

Rosenmüllers Leipziger Fehltritt bewirkte, dass man über den Komponisten fortan offenbar nur noch hinter vorgehaltener Hand sprach. So dürften auch eine Reihe von Anekdoten entstanden sein, deren Wahrheitsgehalt im Einzelnen oft schwer abzuschätzen ist. Einmal heißt es zum Beispiel, Rosenmüller habe in Venedig durch die Schönheit und Meisterschaft seiner Kirchenstücke „die Scheelsucht [den Neid] derer Welschen so gar bis zu seiner eigenen Lebens-Gefahr sich zugezogen“. Ein anderes Mal wird behauptet, er habe „selten weniger, als zwölff reine Stimmen“ gesetzt, was sich anhand des überlieferten Werkbestands allerdings nicht bestätigen lässt. Immerhin zeigt sich an solchen Urteilen, dass man vor Rosenmüllers Kompositionen auch weiterhin großen Respekt hatte.

Das Programm dieser Abendmusik enthält größtenteils Werke aus der insgesamt 25 Jahre umspannenden venezianischen Periode Rosenmüllers. In dieser Zeit entwickelte er in seinen zahlreichen Vokal- und Instrumentalwerken einen gleichermaßen vielseitigen wie unverwechselbaren Stil, dessen Eigenschaften in den hier vorgestellten Stücken exemplarisch zum Ausdruck kommen.

Die eingangs erklingende Sinfonia Prima entstammt der bereits erwähnten gedruckten Sammlung von 1667. In mancher Hinsicht noch anknüpfend an den Stil seiner Leipziger Instrumentalwerke entfaltet Rosenmüller in makellosem fünfstimmigem Satz eine Fülle von eleganten melodischen Einfällen, die sich dank der überragenden Gestaltungskraft des Komponisten zu einem effektvollen und wohl abgerundeten Ganzen zusammenfügen.

Das „Dixit Dominus“ in B-Dur zählt mit seinen 621 Takten zu den monumentalsten Werken, die aus Rosenmüllers Feder erhalten sind. Der kämpferische Impetus des Psalmtexts regte Rosenmüller zu einer gigantischen Schlachtenmusik an, die lediglich im Vers „De torrente“ vorübergehend sanftere Züge annimmt. Bei genauerem Hinhören ist rasch zu bemerken, dass sich unter der plakativen Oberfläche zahlreiche subtile Kunstgriffe verbergen, die dem Werk einen besonderen Reiz verleihen. So arbeitet der Abschnitt „Dominare in medio inimicorum“ mit einem aus vier Tönen bestehenden Motto, das Rosenmüller wörtlich dem „Dixit Secondo“ aus Claudio Monteverdis Sammlung Selva morale e spirituale entnommen hat – offenbar eine direkte Reverenz an den älteren venezianischen Meister und ein wichtiger Fingerzeig auf ein stilistisches Vorbild. Bei den Worten „Tecum principium“ weicht die doppelchörige Anlage kurzzeitig einem dichten sechsstimmigen konzertanten Vokalsatz, dem sich noch eine fünfstimmige Instrumentalbegleitung hinzugesellt.

Eine besondere Stellung nimmt Rosenmüllers Vertonung des „De profundis“ (Ps. 130) ein. Der kontrastreiche und affektgeladene Anfangsabschnitt mit seinen düster rezitierenden Akkorden bei den Worten „De profundis“ und der wildbewegten Gestik des „clamavi“ scheint durch Claudio Monteverdis berühmtes Madrigal „Hor che’l ciel e la terra“ angeregt. Ein strophisch vertonter Abschnitt bildet den zweiten Teil der Komposition (beginnend bei den Worten „Quia apud te propitiatio est“), wobei die vier Sänger in absteigender Folge je eine Strophe solistisch vortragen und sich dann wieder zum vollen Tutti vereinen.

Das in der Sammlung Bokemeyer (Staatsbibliothek zu Berlin) erhaltene kleinbesetzte Vokalkonzert „Salve mi Jesu“ zeigt einen für Rosenmüllers venezianische Vokalwerke typischen Überlieferungsbefund. Er komponierte ausschließlich zum Gebrauch in den katholischen Vespergottesdiensten, doch sind seine Kompositionen ausnahmslos in deutschen Quellen aus dem protestantischen Raum erhalten, wo sie in einen völlig anderen liturgischen Zusammenhang gestellt wurden. Dies betraf speziell die Marienmotetten, die im lutherischen Gottesdienst – wenn überhaupt – nur mit umgedichteten Texten verwendet werden konnten. So erstaunt es nicht, wenn von Rosenmüller nur Motetten mit obskuren auf Jesus gerichteten Texten existieren; bei genauerem Hinsehen erschließt sich aber meist deren nur oberflächlich geänderte Urform. Hinter dem Text „Salve mi Jesu“ lässt sich denn auch leicht die bekannte Antiphon „Salve Regina“ erkennen, deren Text dem im 11. Jahrhundert wirkenden Benediktinermönch Hermann von Reichenau zugeschrieben wird.

Dem zweiten Teil der 1652/53 veröffentlichten Kernsprüche ist das prachtvoll mit fünf Vokalstimmen besetzte Konzert „Also hat Gott die Welt geliebet“ entnommen. Der dem dritten Kapitel des Johannes-Evangeliums entnommene Text rechtfertigt die von Rosenmüller gewählte Benennung „Kernspruch“ vollauf, denn die Worte werden wegen ihres zentralen theologischen Gehalts wegen auch gerne als „Evangelium im Evangelium“ bezeichnet. Das Werk zeichnet sich durch eine an Schütz gemahnende Eindringlichkeit aus; ausschlaggebend hierfür ist die genau den Wortakzenten nachspürende Deklamation des Bibeltexts und die gleichsam aus den Worten heraus entwickelte Motivik.

Die Sonata XII a 5 in d-Moll entstammt der 1682 veröffentlichten zweiten Sonatensammlung Rosenmüllers und steht somit am Ende seines wechselvollen Lebens. In dieser in Nürnberg gedruckten und seinem neuen Dienstherrn Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel gewidmeten Sammlung präsentiert Rosenmüller die Summe seiner in Venedig gewonnenen musikalischen Erfahrungen: In zwölf repräsentativen Werken setzt er die zu Beginn des 17. Jahrhunderts übliche, in der Folge aber aus der Mode gekommene polyphone Satztechnik in ausgedehnten und spannungsvoll gestalteten Passagen ein und erfüllt so die alte Form mit neuem Leben; zugleich erzielt er durch ausgeklügelte symmetrische Satzfolgen wirkungsvolle formale Abrundungen.

Der krönende Abschluss der Abendmusik bildet das große Magnificat in c-Moll, das schon allein durch die Wahl seiner Tonart eine Sonderstellung einnimmt. In seiner formalen Gestaltung und dem Abwechslungsreichtum der einzelnen Abschnitte gleicht das Werk dem großen „Dixit“, das zu Beginn des Konzerts erklingt. Hier wie dort hat es Rosenmüller vermocht, seiner Vertonung durch einprägsame, zum Teil auch kühne harmonische Wendungen ein ganz individuelles Gepräge zu verleihen. Mit wuchtiger Doppelchörigkeit, kunstvoll verschlungenen concertato-Sätzen, strenger Fugentechnik und anmutigen melodischen Passagen demonstriert Rosenmüller in diesem Werk nochmals sein ganzes überlegenes Können, das ihm in seiner deutschen Heimat den Ruhm sicherte, das „Alpha & Omega Musicorum“ zu sein.

© 2013 Peter Wollny

 

 





Johann Gottfried Walther: Musicalisches
Lexicon ...
  Leipzig 1732, S. 532-33